Rede unserer Stadtverordneten Patricia Bhend zum Antrag „Projekte gemeinschaftlichen Wohnens fördern“

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Stadtverordnete Patricia Bhend

Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Was heißt gemeinschaftliches Wohnen?

Manche denken vielleicht an Gruppenzwang, stundenlange Diskussionen und den täglichen Streit um den Putzplan für die Gemeinschaftsküche. Für viele andere hingegen bedeutet es einen Sehnsuchtsort: Menschen aus mehreren Generationen, unterschiedlichen Kulturen und Weltanschauungen, mit und ohne Behinderung leben zusammen und unterstützen sich gegenseitig: Die achtzigjährige Erika hütet die Kinder von Lena und Malik. Der alleinstehende Helmut findet beim wöchentlichen Gruppenabend Anschluss. Sevim gibt der syrischen Familie aus dem zweiten Stock an ihrem freien Nachmittag Deutschunterricht.

Was auch immer jede und jeder von uns mit gemeinschaftlichem Wohnen verbindet: es ist Fakt, dass immer mehr Menschen sich diese Wohnform wünschen. Deutschlandweit gibt es inzwischen geschätzt über 4.000 gemeinschaftliche Wohnprojekte, Tendenz steigend. Am Tag des offenen Wohnprojekts im Mai 2022 in Frankfurt nahmen über 1.000 Interessierte teil.

Auch in Offenbach ist das Interesse groß, das haben wir schon auf unseren eigenen Veranstaltungen festgestellt. Wir sehen es aber auch bei aktuellen Veranstaltungen der Stadt. Das gemeinschaftliche Wohnprojekt, das am alten Stellwerk in Offenbach entstehen soll, erhält viel Aufmerksamkeit in den Medien und bei den Bürger:innen. Bei einer Veranstaltung Anfang September auf der Baustelle am alten Stellwerk stellten sich bei einem ‚Blind Date‘ einige Gruppen vor, die sich in verschiedenen Projektphasen eines Wohnprojekts befinden. Die einen suchten noch Mitstreiter:innen für die Gründung eines Projekts, andere boten bereits freie Wohnungen für den Einzug im kommenden Jahr an.

Mit unserem Antrag möchten wir die aktive Unterstützung solcher Wohnprojekte durch die Stadt fördern und verstärken. Wir müssen die Voraussetzungen schaffen um gemeinschaftliches Wohnen in Offenbach gezielt und aktiv zu fördern!

Warum? Zum einen, weil der Gründungsprozess für ein gemeinschaftliches Wohnprojekt sehr komplex ist und ohne Beratung viele Interessent:innen aufgrund der hohen bürokratischen Hürden aufgeben. Zum anderen, weil die Bodenpreise in den letzten Jahren explodiert sind und gemeinschaftliche Wohnprojekte Marktpreise nicht finanzieren können.

Sie werden sich vielleicht fragen, liebe Kolleginnen und Kollegen, was es der Stadt für Vorteile bringt, Wohnprojekte aktiv zu unterstützen. Ich sage es Ihnen:

Erstens: Gemeinschaftliches Wohnen ist gut für die Quartiere. Gemeinschaftliche Wohnprojekte fördern gesellschaftliche Teilhabe. Die Wohnprojekte sind in der Regel offen für Menschen jeden Alters, Weltanschauung, Kultur und sexuellen Orientierung. Mit dieser Offenheit strahlen sie positiv ins Quartier aus. Zudem engagieren sich Menschen oft über das eigene Projekt hinaus ehrenamtlich im Quartier. Bewohner:innen des Quartiers wiederum können an Aktivitäten des Wohnprojekts teilnehmen.

Hier ist das bereits 2007 gegründete Wohnprojekt in der Weikartsblochstraße ein gutes Beispiel: Der bereitgestellte Bücherschrank ist für alle zugänglich und wird sehr gut angenommen. Regelmäßig finden im Hof Lesungen, Theateraufführungen und Konzerte statt.

Zweitens: Gemeinschaftliches Wohnen fördert die Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum – nicht nur in Offenbach eine große Herausforderung für die Kommunen!

Das sogenannte Konzeptverfahren verhindert die Spekulation mit Wohnraum. In Frankfurt gibt es bereits ein strukturiertes Konzeptverfahren. Damit können sich interessierte Gruppen in einem transparenten Prozess für ein Grundstück bewerben. So etwas wäre aus unserer Sicht auch für Offenbach ein sinnvoller Weg. Gemeinschaftliche Wohnprojekte sind nicht-rendite-orientiert und sichern durch gemeinwohl-orientierte Rechtsmodelle preisstabilen Wohnraum. Solche Rechtsmodelle sind z.B. Mietshäuser-Syndikate oder Genossenschaften. 

Drittens: Jetzt kommt ein für uns Grüne besonders wichtiger Aspekt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Gemeinschaftliches Wohnen ist nämlich auch gut für das Klima!

Gemeinschaftliche Wohnprojekte verbrauchen weniger Ressourcen beim Bau. Menschen in gemein-schaftlichen Wohnprojekten sind meist gemeinwohlorientiert und wollen ihre Wohnung selbst und langfristig nutzen. Daher haben sie ein hohes Eigeninteresse daran ökologisch und nachhaltig zu bauen und Energie zu sparen. Gemeinschaftliche Wohnprojekte ermöglichen optimale und flexible Flächen-nutzung. Sie benötigen weniger Fläche, ohne die Bewohner:innen einzuschränken. Gemeinschaftliche Wohnprojekte eignen sich sehr gut für die Umnutzung bestehender Gebäude, z.B. alte Fabriken o.ä.

Gemeinschaftliche Wohnprojekte verringern auch langfristig den Ressourcenverbrauch im Alltag. Bewohner:innen kochen gemeinsam, teilen sich Waschmaschinen und Autos, verwenden dieselben Gartengeräte und Werkzeuge.

Und zuletzt noch ein paar Zahlen:

In gemeinschaftlichen Wohnprojekten sind die Nebenkosten ca. 28% niedriger als der jeweils regionale Durchschnitt. Es werden ca. 55% weniger für Heizung und Warmwasser verbraucht. Der Wasserverbrauch allgemein ist ca. 32% geringer.

Dies sind viele gute Gründe um gemeinschaftliches Wohnen in Offenbach aktiv und gezielt zu fördern. Wir bitten um breite Unterstützung für unseren Antrag!

Vielen Dank!

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