Rede unserer Stadtverordneten Sabine Leithäuser und unserer Fraktionsvorsitzenden Sabrina Engelmann zu den Anträgen „Aufhebung Radstreifen-Testbetrieb Waldstraße“

Waldstraße
Waldstraße, Offenbach, historische Ansicht

Sabine Leithäuser

„Klotz, Klotz, Klotz am Bein

Klavier vorm Bauch,

wie lang ist die Chaussee?

Links ein Baum, rechts ein Baum

In der Mitt‘ ein Zwischenraum“

Dieses alte Wanderlied habe ich im Ohr, wenn ich auf der Waldstraße unterwegs bin. Ich spüre den Klotz ideologischer Auseinandersetzungen um den Radweg, höre das Klavier vor mir und die schrillen Misstöne derer, die schon immer dagegen waren und es nicht erwarten können, bis der KFZ-Verkehr wieder rollt.

Ich erlebe den Zwischenraum, die vielen Verkehrsspuren, aber auch die Häuser, sehe Menschen, die hier wohnen, arbeiten, sehe Kita und Schule.  

Ich erkenne eine unattraktive Straße im Inneren der Stadt: die Waldstraße.

Sie war einst eine Prachtstraße, die unter dem Leitbild der autogerechten Stadt zu einer 4-spurigen Verkehrsader umgebaut wurde, zu einer stark befahrenen Durchgangsstraße, die mitten durch das Herz der Stadt führte. Mit dem Umbau des Marktplatzes wurde sie gekappt; heute führt die Waldstraße in die Innenstadt, aber nicht mehr durch sie hindurch. Der motorisierte Verkehr hat sich inzwischen andere Wege gesucht.

Früher rollten LKWs über die Waldstraße, zu den großen traditionsreiche Betrieben im Senefelder Quartier:  Hassia Schuhfabrik, MAN-Roland, Druckmaschinen, Post. Heute gibt es diese Betriebe nicht mehr. An ihrer Stelle sind Wohnungen entstanden, es sind Menschen zugezogen, mit denen sich die Bedürfnisse an die soziale und verkehrliche Infrastruktur der Waldstraße geändert haben.

Wie gehen wir mit diesen Veränderungen um? Was für Anforderungen stellen sich? Welche Chancen bieten sich? Was ist gut für die Stadt und unseren Lebensraum?

Gemäß Masterplan soll die Waldstraße als grüne Allee, die in die Stadt hineinführt, gestaltet werden. Im Integrierten Stadtentwicklungskonzept für das Senefelder Quartier wird diese Maßgabe aufgenommen und im Sinne der Anwohner konkretisiert. Das gestalterische Potential der vielen denkmalgeschützten Gebäude und der östlichen Vorgartenzonen soll genutzt werden, um die Waldstraße als Stadtraum aufzuwerten und erlebbar zu machen, aus der trennenden und belastenden Straße einen Ort zu machen, der verbindet, der begrünt ist und Schatten spendet.

Die Einrichtung einer kombinierten Bus- und Radspur war ein Schritt in diese Richtung. Diese Idee stammt aus der Vereinbarung mit dem Radentscheid, wonach der Radverkehr u.a. in der Waldstraße sicherer und zügiger werden soll. Es wurde ein Verkehrsversuch gestartet und wie sich zeigt, ist der befürchtete Verkehrskollaps ausgeblieben.

In ihrem Antrag fordern CDU und Freie Wähler jetzt, den Versuch unverzüglich abzubrechen und alles wieder wie in den 60iger Jahren zu lassen!

Ihre inhaltliche Begründung liegt in einer einzigen Zahl:  die Anzahl der Radelnden hat sich nicht wesentlich erhöht. Wie bitte?  Ein Jahr Verkehrsversuch, und das Ergebnis reduziert sich auf eine einzige Zahl?

Gab es keinerlei positive Auswirkungen? Für die Busse,  die Zufußgehenden, die RadlerInnen, die AnwohnerInnen?

Nein, CDU und FW geht es nur um diesen einen bestimmenden Punkt!

„Links ’ne Pappel, rechts ’ne Pappel, in der Mitt ‚ ein Pferdeappel.“

Ja, die Einrichtung einer kombinierten Bus- und Radspur war nicht perfekt –unter den gegebenen Umständen war es ja auch nur ein Minimaleingriff.

Aber der Versuch zeigt auch Chancen auf, führt in die gewünschte Richtung. Anders gesagt: wollen wir diese Fahrspuren wirklich wieder dem motorisierten Individualverkehr überlassen?

Weil nun mal in einer dicht bebauten Großstadt Flächen knapp und teuer sind, müssen sie gerecht unter alle Verkehrsbeteiligten aufgeteilt werden. Wir brauchen auch Flächen für Grün und Schatten. Wir brauchen Orte, an denen sich Menschen gerne aufhalten.

Es gibt den Wettstreit der Kommunen um attraktive Standorte. Zufußgehende prägen das Bild der Stadt, sie machen eine Stadt lebendig und liebenswürdig – ganz im Gegensatz zu den Blechkolonnen am Straßenrand.

Was wir brauchen sind Ideen, Mut und Umsetzungskraft, und nicht Rezepte aus der Mottenkiste und stures Beharren auf dem Immerso.

Wir Grünen können uns für die Gestaltung der Waldstraße etwas Besseres vorstellen, lassen Sie – und sei es nur für einen kurzen Moment – diese Anschauung zu:

Die Waldstraße als ein breiter Boulevard! Ein Raum zum Flanieren, zum Dasein, zum Treffen, zu sozialer Interaktion, ein Boulevard mit Sicherheit für Radverkehr und ja – Autos finden da auch noch ihren Weg!  Die Waldstraße bietet dafür alle Voraussetzungen. Wie wäre das?

Unmöglich? Denken wir an den Wilhelmsplatz – 30 Jahre Diskussion über den Untergang des Abendlandes. Und heute? Wer will heute noch zurück an einen verkehrsumtosten Platz, will unser städtisches Wohnzimmer aufgeben?

Grüner Spleen? Masterplan und Integriertes Handlungskonzept, die städtische Vereinbarung mit dem Radentscheid sprechen eine andere Sprache.

Wer immer mit den Hufen scharrt und nur das Bestehende verteidigt, kommt nicht weiter.

Wie endet das Lied?
„Links `ne Eiche, rechts `ne Eiche, in der Mitt‘ ne Pferdeleiche“

Für Waldeslust statt Waldesfrust!

Seien wir realistisch fordern wir das Unmögliche:

Ich wünsche mir, dass mir irgendwann dann doch noch ein anderes Lied zur Waldstraße einfällt. „Oh, Champs-Élysées“ wäre das nicht schön?

Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bei den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Mobilitätsamts bedanken! Sie haben einen tollen Job gemacht, haben die anspruchsvolle Aufgabe unter großem Druck gemeistert. Sie waren immer zur Stelle und haben nachjustiert, wenn es holprig wurde. Sie haben es geschafft, dass der Verkehr trotz aller Unkenrufe weiter rollt. Auch wenn so manche Entscheidung frustrierend ist, bitte bleiben sie am Ball.

Sabrina Engelmann

Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher, sehr geehrte Damen und Herren,

es wurde jetzt schon Vieles gesagt zur Waldstraße, zu ihrem aktuellen Zustand, aber auch zu einer möglichen Zukunft.

Aktuell liegen uns zwei Anträge der Opposition zum Verkehrsversuch dort vor, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Die einen fordern den sofortigen Rückbau und die Entfernung der Markierung, während die anderen die Verstetigung der aktuellen Verkehrssituation fordern.

Beides werden wir ablehnen, denn beides ist in unseren Augen nicht das, was im Lichte der Ergebnisse des Verkehrsversuchs richtig ist.

Dazu vielleicht ein paar Worte zu dessen Genese. Wir erinnern uns sicher alle daran, dass in der Stadtverordnetenversammlung im Sommer 2022 eine Vereinbarung mit dem Radentscheid getroffen wurde. Dies war nicht nur eine Anerkennung des beeindruckenden Engagements der Mitglieder des Radentscheids und der 4.500 Bürger:innen, die diesen mit ihren Unterschriften unterstützt haben. Es war auch ein klares Bekenntnis dazu, dass die Stadt Offenbach die Infrastruktur für den Radverkehr in Offenbach verbessern will.

Gleich die erste Maßnahme war dabei die Waldstraße. Und weil wir an einer solch großen Straße nicht einfach unüberlegt in den Verkehr eingreifen können, wurde der einjährige Verkehrsversuch mit wissenschaftlicher Begleitung ebenfalls hier in der Stadtverordnetenversammlung beschlossen.

Wir wollten sehen, ob es möglich ist, an dieser Stelle in der Stadt jeweils eine Spur für den Autoverkehr herauszunehmen, ohne einen Verkehrskollaps zu erzeugen. Das eindeutige Ergebnis: Das ist es!

Lassen sie mich eins zum Verkehrsversuch ganz klar sagen: Dieser Versuch ist NICHT gescheitert: Es wurde ein hier beschlossener Verkehrsversuch erfolgreich umgesetzt, dessen wissenschaftlicher Abschlussbericht uns jetzt vorliegt. Die Grundlogik einer solchen wissenschaftlichen Untersuchung ist es, dass sie ergebnisoffen ist.

Und dies sind die klaren Ergebnisse: Verbesserungen für Radfahrende, Verbesserungen für Menschen, die zu Fuß unterwegs sind, und Verbesserungen für den ÖPNV. Es hat keinen Stau und keine Nachteile für Autofahrende gebracht. Das heißt: Vier Spuren sind für den motorisierten Individualverkehr an der Waldstraße nicht nötig. Der Raum dort kann sinnvoller und gerechter verteilt werden.

Klar ist bei dem Versuch aber auch geworden: Die Zahl der Radfahrenden hat sich nicht exorbitant gesteigert. Das verwundert eigentlich nur wenig, schließlich hatte das kurze Teilstück keinen Anschluss an das restliche Radfahrnetz.

Wir haben also einen Versuch gemacht und der hat eindeutige Ergebnisse geliefert, nämlich dass wir dort den Straßenraum zum Wohle der Bürger:innen gerecht verteilen können.

Unser Wunsch als Grüne wäre es jetzt, als kurzfristige Maßnahme eine Umweltspur einzurichten, zunächst bis hinunter zur Humboldtstraße. Das heißt, eine Spur, auf der Busse fahren, die aber auch für Taxis, Rettungswagen und Radfahrende freigegeben ist, aber gerade nicht für Autos, die diese Spur – laut Evaluation – eben gar nicht benötigen.

So wäre allen geholfen: den Menschen, die zu Fuß gehen: denn sie kommen nicht auf dem Fußweg in Konflikt mit Radfahrenden, die sich nicht auf die vielbefahrene Waldstraße trauen. Den Bussen und denen, die damit fahren, wäre ebenfalls geholfen, denn Busse haben dann freie Fahrt und kommen somit spürbar pünktlicher an. Den Radfahrenden wäre natürlich ebenfalls geholfen, denn sie können die Umweltspur der Busse mitnutzen und müssen sich die Fahrspur nicht mit den vielen Autos teilen, die dort die Waldstraße entlangfahren. Es wäre mit dieser Variante aber auch den Taxis geholfen, die die Umweltspur ebenfalls nutzen können und auch den Rettungswägen würde dies helfen, schneller zu den Menschen zu kommen, die sie dringend brauchen.

Das heißt für uns Grüne: Nimmt man die Ergebnisse des Verkehrsversuchs ernst, kann man eine Win-Win-Situation ermöglichen, bei der die Bürger:innen dieser Stadt profitieren, ohne dass Verkehrsteilnehmer benachteiligt werden.

Das wäre unsere präferierte kurzfristige Maßnahme an der Stelle. Langfristig können wir uns sehr gut mit einen alleenartigen Umbau der Waldstraße vorstellen, mit der kompletten stadtgestalterischen Neuordnung des Raums, wie er bereits von Sabine Leithäuser dargestellt wurde. Der erste Schritt dorthin wäre für uns in diesem Sinne die Umweltspur. Daher lehnen wir sowohl den Antrag zur Freigabe der Spur für Autos als auch den Antrag zur Verstetigung der aktuellen Situation ab.

Vielen Dank!

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