Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich fahre fast täglich an der Wilhelmschule vorbei, oft denke ich: „Welch wunderbares, altes Gebäude!“ So geht es wohl vielen. Aber wie sieht es wohl drinnen aus? Ich glaube die meisten von uns haben eine grobe Vorstellung: Folgen Sie mir trotzdem im Kopf gerne dorthin.
Von langen Fluren gehen Klassenzimmer ab, jedes hat genau eine Tür. Tritt man durch diese ins Klassenzimmer ein, dann befindet sich geradeaus das Pult und direkt an der rechten Seite die Tafel. Links sind die Tischreihen der Schüler:innen, die alle in Richtung Tafel blicken. Das Zimmer ist standardisiert. Es ist genau so angeordnet, damit das Licht, das durch die uns gegenüberliegenden Fenster fällt, keinen ungünstigen Schatten wirft beim Schreiben. So sollte das sein in einer Knabenmittelschule des 19. Jahrhunderts, in der alle Kinder männlich, Rechtshänder und brav sein sollten. Heute sollen hier ganz unterschiedliche Kinder fit gemacht werden für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, manche davon schreiben sogar mit links!
Offenbachs Schulen sind genau wie Offenbachs Kinder: Ganz verschieden. Manche Schulgebäude sind nagelneu und bieten schon moderne Lernumgebungen, zum Beispiel die Grundstufe an der IGS Lindenfeld. Andere sind von außen zwar sehr schön anzusehen, aber eben unter pädagogischen Gesichtspunkten aus der Zeit gefallen.
An unseren Schulbauten hat sich zwar schon viel getan, man schaut da immer etwas staunend zu unserem großen reichen Nachbarn im Westen – bei uns tropft es meines Wissens nur im Rathaus Saal 3 von der Decke. Ich freue mich dennoch, dass das Startchancen-Programm, über das wir heute entscheiden vor allem Grundschulen in den Blick nimmt, denn sie haben es in Offenbach am nötigsten. Es sind nicht nur 8 Grundschulen dabei, sondern auch 5 weiterführende Schulen, von denen 4 auch Grundschülerinnen beherbergen. Fast alle Grundschulstandorte haben bereits die eine oder andere bauliche Verbesserung erfahren, hier die Fenster an der Eichendorff, da die Toiletten der Uhlandschule usw. Doch gerade bei den Kleinsten gibt es auch noch viel zu tun, sie kamen bisher noch etwas kurz, was umfassende Sanierungen angeht, weil wir dem Platzbedarf im Schulbereich kaum hinterherkommen.
Schön, dass Land und Bund uns hier mal mit über 2/3 des erforderlichen Geldes in Sachen Schulbau unterschützen. Aber bei dem Beschluss heute geht es nicht um reine bauliche Verbesserungen, sondern vor allem darum Schulen in besonders herausfordernden Lagen fit zu machen für eine moderne Didaktik.
Das Startchancen-Programm haben maßgeblich unsere grünen Kolleginnen im Bund in der letzten Legislatur vorangetrieben und sie haben auf die richtigen Themen gesetzt: Vor allem bei den Jüngsten ansetzen; Förderung an den Schulen, an denen sie wirklich nötig ist; und ganzheitlich denken – nicht Räume oder Personal oder Konzept, sondern alles zusammen. Denn das alles geht Hand in Hand.
Das Programm kommt auch mit Blick auf den Ganztag zur richtigen Zeit, denn nächstes Jahr startet der an den Grundschulen und erfordert neue Konzepte, multiprofessionelle Teams und andere Räumlichkeiten.
Diese erste Säule des Startchancenprogramms, über die wir als Schulträgerin entscheiden können, fokussiert auf die räumlichen Rahmenbedingungen. Die Frage ist, wie Schulen aussehen sollten, die den Anforderungen heute, morgen und übermorgen gerecht werden – denn Schulen stehen offensichtlich über Jahrzehnte. Es geht um flexible Möblierung, die unterschiedliche Lernformen ermöglicht. Es geht um räumliche Umstrukturierungen, die kooperatives Lernen fördern. Und es geht um bauliche Maßnahmen, die zusätzlichen Raum für individuelle Förderung schaffen können.
Mit dem Grundsatzbeschluss zum Startchancenprogramm können wir 13 Offenbacher Schulen den Weg in eine modernere Bildungszukunft ebnen. Eine Zukunft, in der die Postleitzahl eines Kindes nicht über seine Bildungschancen entscheidet. Das sind Kinder, die möglicherweise mehr Unterstützung brauchen als andere, weil das deutsche Schul- und Bildungswesen noch zu sehr auf engagierte Eltern baut – statt auf die Kompetenzen der Kinder. Wir Grünen sind überzeugt: Bildungsgerechtigkeit ist der Schlüssel zu einer nachhaltigen, sozialen und demokratischen Gesellschaft.
Das Programm wird diese Systemfehler sicher nicht komplett heilen, aber ich hoffe sehr, dass wir aus den Programmmitteln in den kommenden neun Jahren noch viel mitnehmen und für die Kinder verbessern werden.
Die Wilhelmschule selbst hat sich übrigens auch schon viele Gedanken gemacht und erste Punkte umgesetzt, nachzulesen auf ihrer Website. Die Lehrkräfte wünschen sich zuallererst eine vernünftige Kaffeemaschine, manchmal fehlt es wohl am Basalsten. Davon abgesehen wurde bereits eine Glücks-Stunde für den 2. Jahrgang eingeführt, in der Kinder ihre Emotionen kennen- und reflektieren lernen, es wurden ein Schulhelfer und ein FSJler eingestellt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich hätte mir vorstellen können, dass durchaus noch zwei, drei (oder alle) weitere Offenbacher Schulen vom Programm profitieren, aber will mich natürlich nicht beklagen. Ich denke wir sind tatsächlich ganz gut bedacht, auch wenn ich es seltsam finde und kritisch sehe, dass der zugrundeliegende Startchancenindex nirgends transparent und nachvollziehbar ist.
Apropos Transparenz: Mit einem kleinen Ergänzungsantrag stellen wir sicher, dass die Stadtverordneten nochmal einen Blick auf die Liste der Maßnahmen werfen, bevor es in die Umsetzung geht. Nicht, weil wir der Verwaltung nicht trauen, aber weil wir unseren Kontrollauftrag ernst nehmen und wissen wollen, was dann zur Umsetzung kommen wird und wie die Mittel unter den Schulen verteilt werden. Vertrauen ist gut, aber Kontrolle eben auch.
Zum Schluss betreten wir nochmal die Wilhelmschule der Zukunft, sagen wir in fünf Jahren, ich denke mal eine Nummer größer: Vielleicht gibt es zwischen den ehemaligen Klassenräumen Durchbrüche und Fenster, damit die Kinder zwischen verschiedenen Bereichen der Lernlandschaft wechseln und die Lehrer*innen den Überblick behalten können. Dazwischen Zonen mit Sitzsäcken zum Lesen oder halbabgetrennte Bereiche für individuelle Förderung. Die Klassenräume der Knabenmittelschule sind zur Lernlandschaft geworden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen.
In Offenbach legen wir die Priorität auf Bildung. Ich bitte Sie daher um Ihre Zustimmung zum Grundsatzbeschluss für das Startchancenprogramm und für unsere kleine Ergänzung. Vielen Dank.